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Venezuela

Caracas und Colonia Tovar

30-09-2007

Irgendwann muss man mal wieder runter vom Boot. Da kam uns das Angebot eines lokalen Anbieters gerade recht. Vier Tage Caracas und Colonia Tovar, die „deutsche Siedlung“. Mit unserem Guide und fünf anderen amerikanischen Cruisern machen wir uns auf den Weg. Die Temperatur im Expressbus gleicht der in einem Fleischtransporter.Vier Stunden bis Caracas.

Caracas, das politische Zentrum Venezuelas, gehört nicht zu den Städten, die wir auf die Liste „muss man unbedingt gesehen haben“ setzen würden. Interessant ist nur die Innenstadt mit ihren kolonialen Bauten, dem Präsidentenpalast und den Regierungsgebäuden, ein paar Museen für Kunst und Archäologie sowie dem Geburtshaus Simon Bolivar, Volksheld und Befreier Südamerikas von den spanischen Kolonialherren.
Auf der Fahrt ins Zentrum passieren wir die Barrios, die Armenviertel Venezuelas. Es ist eine chaotische Ansiedlung, die sich über mehrere Hügel erstreckt. Wie Schwalbennester kleben die Hütten an den Hängen. Jeder baut wie und wo er kann, mit dem was er gerade hat. Statik ist hier ein Fremdwort. Ca. 1 Mio Menschen sollen hier leben, keiner weiß das so genau. Wer dort nicht wohnen muss, traut sich auch kaum hinein. Wir schon gar nicht. Von den jährlich 30.000 Ermordeten in Venezuela sind ca. 80% Opfer von Bandenkriegen in diesen Slums.
Hier hat die sozialistische Regierung von Präsident Chavez ihr breites Wählerpotential. Unser Guide Jamie ist auch „Chavista“ = Chavez Anhänger. Er erklärt uns stolz die Errungenschaften und Fortschritte die in den Barrios erreicht wurden... erkauft mit Milliarden aus den venezuelanischen Erdölvorkommen. Durchaus noch nachvollziehbar. Deshalb wird „El Presidente“ von diesen Menschen so geliebt. Er spricht eine Sprache die sie verstehen. Jedes Wochenende kann man seine „Show“ stundenlang im staatlichen TV verfolgen. Manchmal singt er auch für sie und lässt sich von einer ausgewählten Schar Rothemden wie ein Messias feiern. Er kümmert sich um alles, z. B. auch ob das  Pferd im Wappen von Venezuela nach rechts trabt oder (besser) ungestüm nach links galoppiert. Die Wirtschaft leidet seit acht Jahren. Dem Mittelstand geht es schlechter als je zuvor, obwohl Venezuela die viertgrößten Erdölvorkommen der Welt und andere Bodenschätze besitzt.
Solange aber die Sozialhilfe in Strömen fließt, werden die Barrios ihren El Presidente wählen. Sie vestehen nicht, dass die geplante Verfassungsänderung praktisch die regelmäßigen Wahlen abschafft, damit er an der Macht bleibt.

Colonia Tovar gilt in Venezuela als der Inbegriff eines deutschen Ortes. In der Tat, wenn man durch den grossen Torbogen hinein fährt ist man überrascht überall an den Hängen saubere Fachwerkhäuser zu sehen. Dazwischen Flächen für Obst- und Gemüseanbau, der aufgrund der Lage in 1800 M Höhe klimatisch begünstigt ist. Erdbeeren werden hier das ganze Jahr über geerntet. Selbst Obstbäume tragen mit einem Trick zweimal im Jahr.
Deutsche Namen und Straßenschilder wie „Cafe Muhstall“, „Calle Hessen“ oder „Hotel Kaiserstuhl“ prägen das Straßenbild. Man glaubt in ein Schwarzwalddorf zu fahren. Natürlich erhält man hier Bratwurst oder Eisbein mit Sauerkraut. Unsere amerikanischen Mitreisenden sind begeistert.
Schaut man etwas genauer hin stellt man fest, dass ein Großteil der Gebäude auch in Disney World stehen könnten. Das Fachwerk ist häufig nur aufgemalte Attrappe. Colonia Tovar ist zu einem Touristenmagnet für Venezuelaner geworden, auch mit all den kitschigen Auswüchsen.
Dabei darf man nicht vergessen, welche Entbehrungen die ersten Siedler Mitte des 19. Jahrhunderts auf sich genommen haben, als sie nach 45 Tagen Schiffsreise, 40 Tagen Quarantäne und einem endlos langen Marsch hier oben ankamen. Die versprochene Siedlung war nur eine Brandrodung mitten im Urwald, mit 20 Hütten für alle. Über 100 Jahre blieb die Siedlung von der Aussenwelt isoliert. Dadurch konnte sich das Deutschtum lange erhalten. Erst gegen 1960 erhielt der Ort die Straßenanbindung nach Caracas.
Das Projekt drohte mehrfach zu scheitern. Nur der Zähigkeit und dem Fleiss der Menschen ist es zu verdanken, dass die Siedlung nicht das Schicksal erlitt wie eine schottische Ansiedlung, die dem Alkohol zum Opfer fiel. 
Die Nachkommen der Auswanderer bedienen zwar im Schwarzwälder Dirndl sprechen aber kaum noch ein Wort deutsch. Maria, die Besitzerin des Hotel Bergland, ist eine Ausnahme. 1957 kamen sie und ihre Eltern hierher. Sie war damals 17. Unermüdlich hat die Familie in den 50 Jahren ein gemütliches Hotel geschaffen, so wie man es auch am Feldberg finden könnte. Jetzt würde sie am liebsten alles verkaufen und nach Deutschland zurückkehren. Aber sie bekommt für das Hotel nicht mehr viel, weil potenzielle Käufer ihr Geld aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung nicht in Venezuela investieren wollen. So wie Maria denken viele Einwanderer, die sich mit Fleiß, Sparsamkeit und Entbehrungen eine Existenz aufgebaut haben.

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